Äthiopien IV

Am Mittwoch starteten wir wieder früh am Morgen, um mit der kleinen UN Maschine zurück nach Addis Abeba zu fliegen. Am Nachmittag besuchten wir dort gleich nach unserer Ankunft noch einmal das von JRS angeleitete CPC (Child Protection Center). In diesem neu gegründeten Zentrum werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut. Die Projektleiterin Askal gab uns dort ein Interview über ihre Arbeit. Sie erklärte uns die verschiedenen Ansätze der Sozial Arbeiter zur Unterstützung der Jugendlichen bei der Bewältigung ihrer Traumata. Sie selbst bietet hauptsächlich Kunsttherapie an, da traumatisierte Kinder oft kaum mit anderen Menschen sprechen. Die Bilder der Kinder bieten eine Möglichkeit etwas über deren Vergangenheit zu erfahren. Wenn sie gemeinsam mit den Kindern Bilder malt, gewinnt sie langsam das Vertrauen der jungen Flüchtlinge. Anhand der Bilder und kurzen Erklärungen der Kinder kann sie besser verstehen was diese Kinderaugen schon für schreckliche Dinge gesehen haben. Behutsam versucht sie das Erlebte mit den Kindern zu besprechen und ihnen ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit zu geben. Wir haben größten Respekt vor den Mitarbeitern von JRS die hier eine so wichtige Arbeit machen.

Erneut packten wir unsere Sachen zusammen, um am nächsten Morgen nach Axum im Norden Äthiopiens zu fliegen. Axum ist die bedeutendste Stadt für die christlichen Äthiopier, denn hier befindet sich angeblich in einer immer verschlossenen Kathedrale, das größte Heiligtum Äthiopiens, die heilige Bundeslade mit den Tafeln der Zehn Gebote, die Gott an Moses gesandt hatte.

Gemeinsam mit einer Trauergesellschaft stiegen wir am frühen Morgen in eine kleine Propellermaschine. Vor dem Abflug bekreuzigten sich das Bordpersonal und alle anderen Fluggäste dreimal. Wir deuteten das zunächst als Teil des Rituals eines Totentransports. Als unsere Maschine zwischenzeitlich dann allerdings sehr komische Geräusche von sich gab, glaubten wir zu hören, wie die Fluggäste auch hier um Gottes Beistand für einen sicheren Flug baten. Nach ein paar Minuten normalisierte sich der Geräuschpegel im Flugzeug wieder und wir landeten sicher auf der Landebahn des winzigen Flughafens in der Region Tigray, der Grenzregion zu Eritrea.

Dort wurden wir von Salomon, dem JRS Projektleiter in dieser Region, und unserer freundlichen Fahrerin Firtuma abgeholt. Auf dem Weg zu den 140 km entfernten Flüchtlingslagern fuhren wir durch eine abwechslungsreiche Landschaft. Von Ackerbau geprägte Hochebenen, tiefe einschneidende Flussläufe und kleine Dörfer am Straßenrand boten uns zahlreiche Fotomotive.

Auf dem Weg luden die beiden uns noch zu einer traditionellen Kaffee Zeremonie ein. Hier in Äthiopien werden die grünen Kaffeebohnen jedes mal vor der Zubereitung frisch über dem Feuer geröstet. Anschließend gemahlen und mit Wasser über dem Feuer erhitzt.

Schon bald erreichten wir auf der gut asphaltierten Straße die Stadt Shire. Dort mussten wir erneut in den Büros sämtlicher Programmleiter der Flüchtlingslager in dieser Region vorsprechen, um die Papiere zum Betreten der Lager zu bekommen. Glücklicherweise ging das Ganze hier schneller vonstatten, sodass wir schon Mittag die JRS Basis des Mai Aini Flüchtlingslagers erreichten. Auch hier wurden wir sehr herzlich von dem Team aus Sporttrainern, Sozialarbeitern und Musiklehrern empfangen. Bei dem landestypischen Mittagessen, dass wir mittlerweile auch schon halbwegs geschickt mit der rechten Hand essen konnten, besprachen wir unseren Zeitplan für die nächsten Tage.

 

Die freundlichen Köchinnen zeigten uns auch wie man Injera herstellt. Die traditionellen Sauerteig Pfannkuchen, die es hier zu jeder Mahlzeit gibt, bestehen aus Wasser und einer besonderen Ur-Getreideform.

Grundsätzlich sind die Lager hier genauso aufgebaut und organisiert wie wir es euch schon in unserem letzten Bericht erklärt haben. Allerdings sind die Flüchtlingslager hier deutlich kleiner und es arbeiten nur etwa fünf Hilfsorganisationen in jedem Camp. JRS ist in zwei von den insgesamt vier Lagern dieser Region vertreten, Mai Aini und Adi-Harush. In diesen Flüchtlingslagern, die wir auch besucht haben, leben jeweils ca. 8000 Menschen, wobei die Zahlen hier nicht sehr verlässlich sind, da täglich in jedem Lager zwischen 20 und 60 neue Flüchtlinge ankommen und auch einige andere wieder die Camps verlassen.

Um die Situation besser zu verstehen, möchten wir euch weitergeben, was uns die Menschen hier über ihr Leben hier in den Lagern und in ihrem Heimatland erzählt haben:

Vor mehr als zwanzig Jahren hat sich Eritrea als unabhängiger Staat von Äthiopien abgespalten. Seitdem wird dieser Staat von einer Militärdiktatur regiert. Nach 8 Jahren Schulbildung sind alle Einwohner zu lebenslangem Militärdienst verpflichtet. Wer der Regierung kritisch gegenüber steht, wird in Umerziehungslager oder Gefängnisse gebracht. All die Menschen die hier in den Flüchtlingslagern sind, schafften es mit der Hilfe von Schleppern oder alleine über die Grenze zu Äthiopien. Unzählige werden bei ihrem Versuch der Militärdiktatur zu entfliehen an der Grenz zu Äthiopien erschossen. Die meisten jungen Flüchtlinge wollen ein selbstbestimmtes Leben führen und einer Arbeit nachgehen die ihren Interessen entspricht. Gerne möchten sie ein funktionierendes Wirtschaftssystem in Eritrea aufbauen, doch da sie unter der Militärdiktatur keine Perspektive für sich sehen, fliehen sie.

Hier in den Lagern leben die ca. 8000 Flüchtlinge mit den etwa 1000 Einwohnern der Gastgebergemeinde zusammen. Auf uns wirkt das Miteinander sehr friedvoll und wir können keine Unterschiede zwischen Gastgebern und Flüchtlingen erkennen. Sie leben in ähnlichen Lehmhütten, nutzen die gleichen Brunnen, treiben ihr Vieh gemeinsam auf die umliegenden Felder, ernten die Früchte der Bäume in der Region und die Kinder gehen gemeinsam zur Schule. Immer wieder fragen wir uns wie es funktionieren kann, dass die Äthiopier hier so selbstverständlich und ohne Neid all ihre ohnehin sehr knappen Ressourcen teilen. Die Landesbevölkerung in dieser Gegend lebt in sehr einfachen Verhältnissen. Wenn die Kinder nicht in der Schule sind, gehen sie zu Fuß oder mit Eselkarren zu den Brunnen um die Wasserkanister aufzufüllen oder treiben die Rinder und Ziegen auf die Felder. Frauen sammeln Feuerholz und schleppen die riesigen Bündel auf ihrem Rücken über mehrerer Kilometer zu ihren Dörfern.

Sie profitieren natürlich auch von den Angeboten der Hilfsorganisationen, aber wenn im Sommer das Wasser für alle knapp wird, müssen sie das verschmutzte Wasser aus den Flüssen trinken, wovon viele Kinder krank werden. Die Flüsse sind sehr stark verschmutzt, da zu viele Menschen dort täglich ihre Wäsche waschen. Doch egal wie oft wir nachfragen, was wir an diesem System falsch verstanden haben, erhalten wir die gleiche Antwort: „Wir sind alle Brüder und Schwestern und teilen was Gott uns gegeben hat“. Eritreer und Äthiopier in dieser Region gehören alle dem Stamm der Tigray an, sie sprechen die gleiche Sprache und gehören der gleichen Religion an. Aber auch die wenigen die dem Islam angehören, werden als gleichberechtigte Brüder und Schwestern gesehen. Langsam beginnen wir zu verstehen, wie tief die Menschen hier in ihrem Glauben verwurzelt sind. Sie betonen uns gegenüber, wie dankbar sie für die Unterstützung ihrer Brüder und Schwestern aus der ganzen Welt, die ihnen in Form der Hilfsorganisationen, sind.

Wir sind zutiefst beeindruckt von den Menschen, für die Nächstenliebe einen so hohen Stellenwert hat, und dass auch in Lebenssituationen in denen sie um ihr eigenes Überleben kämpfen.

 

 

Diese Informationen haben wir erfahren, als wir die über 60-jährigen Bewohner des Mai Aini Flüchtlingslager bei ihrem wöchentlichen Gesprächskreis in den Räumen von JRS besuchten. Hier treffen sich mehr als 50 Flüchtlinge um sich regelmäßig über ihre Probleme auszutauschen. Außerdem laden sie auch immer wieder Jugendliche ein um gemeinsam über ihr Kultur und Traditionen zu sprechen. Sie freuten sich sehr das wir sie besuchten und wollten sich unbedingt fotografieren lassen. Die Mitarbeiter von JRS übersetzten für uns, sodass wir uns kurz mit ihnen unterhalten konnten. Sie baten uns ihre Geschichten zu erzählen und möglichst vielen von der Situation in den Flüchtlingslagern zu berichten. Vielen von ihnen ist das Leid das sie schon erlebt haben ins Gesicht geschrieben. Wir können uns kaum vorstellen wie diese Menschen von denen die meisten kaum mehr sehen oder hören können oder auf Gehilfen angewiesen sind, aus Eritrea flüchten konnten. Auf diese Frage antworteten sie uns: „Gott und Allah haben uns hier hergebracht.“ Wieder waren wir überrascht von dem tiefen Glauben der Menschen. Gerade in dieser Region schließen Islam, Christentum und Naturreligionen einander nicht aus. Einige erklärten uns die verbindenden Elemente die sich im Alten Testament dazu finden.

 

Neben den Gesprächskreisen der alten Menschen, bietet JRS zusätzlich zu den Programmen die wir im letzten Blog schon beschrieben haben, hier Musikunterricht, Theatergruppen und Tanz an. Aus den zahlreichen Gesprächen und Interviews die wir mit den jungen Flüchtlingen, die an diesen Programmen teilnahmen, führten wurde uns auch hier wieder klar wie wichtig diese Aktivitäten für sie sind. Neben Einzelunterricht für Keyboard, Gitarre und Schlagzeug, pflegen die Jugendlichen beim gemeinsamen Musizieren ihre Traditionen. Als wir sahen wie die jungen Menschen hier ausdrucksstark tanzten, wurden uns die großen Kulturellen Unterschiede zu den Lagern in der Somali-Region deutlich. Dieses Tanzprogramm, das den Flüchtlingen aus Eritrea sehr viel Selbstvertrauen und Kraft gibt, würde in den Lagern an der Grenze zu Eritrea nicht angenommen werden.

 

Besonders aufgefallen sind uns in den Camps an der Grenze zu Eritrea die zahlreichen Plakate und Schilder, die auf die Gefahren und Risiken der illegalen Migration hinweisen. Wie Anfangs schon erwähnt, machen sich hier trotzdem täglich Menschen auf den Weg um mit Hilfe von Schleppern, nach Amerika oder Europa zu kommen. Wie man uns berichtete sind es hauptsächlich Jugendliche, die trotz der unzähligen Warnungen nicht länger hier ihre „Zeit absitzen“ wollen. Nach der Registrierung in den Camps warten die meisten fünf bis sechs Jahre, bis sie in ein offizielles Umsiedlungsprogramm der UN aufgenommen werden. Wie wir berichtet haben wird hier schon viel für die jungen Menschen getan, aber Helfer hier wünschen sich noch ergänzenden Programmen oder Bildungseinrichtungen, um den Jugendlichen eine Möglichkeit zu geben ihre Zeit hier noch sinnvoller zu nutzen.

Nach zahlreichen Interviews, eindrucksvollen Erlebnissen und guten Gesprächen war unsere Zeit in diesem Flüchtlingscamp auch wieder viel zu schnell vorbei.

 

 

Am Samstag machten wir uns dann auf den Rückweg nach Addis Abeba. Salomon und Firtuma zeigten uns auf einem kleinen Abstecher noch den berühmten Stelenpark in Axum. Vor ca. 1700 Jahren wurden hier kunstvoll verzierte 20m hohe Stelen, als Teil der Grabbauten für den König von Axum errichtet.

Wir fuhren auch noch kurz an der Kirche vorbei, in der sich angeblich die heilige Bundeslade befindet.

Zurück in Addis fuhren wir zusammen mit Grace und Freunden von ihr spontan noch zu einem Open Air Konzert einer Afrikanischen Sängerin. Denn Sonntag verbrachte Anna gemeinsam mit den Jesuiten Priestern. Nach dem Sonntagsgottesdienst wurde sie zur Chorprobe eingeladen. Durch den kraftvollen afrikanischen Gesang war der Gottesdienst hier sehr abwechslungsreich und kurzweiliger als sie es von Zuhause gewohnt war.

Wir, die uns am Anfang der Reise gar nicht kannten, sind nun am Ende unsers Abenteuers in Äthiopischen angelangt. Auf Grund der erschwerten Umstände die euch ja schon bekannt sind, war es zwar nicht immer einfach aber wir ergänzten uns von Anfang an sehr gut. Auf Grund der guten Stimmung war ein so produktives Arbeiten überhaupt nur möglich.

Auch wenn unsere Arbeitstage zum Teil bis zu 19 Stunden dauerten ist das nicht zu vergleichen mit dem aufopferungsvollen Pensum , das die Mitarbeiter von JRS leisten. Die Hingabe, Empathie, und ihr großes Herz haben uns sehr überrascht. Besonders das Team an der Grenze zu Somalia beeindruckte uns durch ihre selbstlose „Dauerpower“, da die Bedingungen in diesem wüstenartigen Teil Äthiopiens weitaus lebensfeindlicher sind als in den nördlichen Gebirgsregionen. Auch die kulturellen Unterschiede stellen höhere Anforderungen an das Team in der Dolo Addo Region dar. Jeder Einzelne der JRS Mitarbeiter, egal in welchem Lager, stellt seine eigenen Interessen, Privatleben, Freunde und Familie zurück, um für die Flüchtlinge hier da zu sein. Jemanden zu haben der für die jungen Flüchtlinge da ist, sie begleitet und unterstützt, ist nach dem was wir hier erfahren haben, mit das wichtigste was man für diese Menschen tun kann.

Wir haben hier neben den wertvollen Bild-, Video- und Interview- Materialien für unsere E-Learning Kurse, vor allem wichtige Erkenntnisse aus der Lebenswelt der Flüchtlinge gesammelt. Nur so sind wir in der Lage die virtuellen Lernangebote lebensnah und praktikabel zu gestalten.

 

Wir hatten die letzten zehn Tage, trotz der schwierigen Lagersituationen, sehr viel Spaß sowohl mit den Mitarbeitern von JRS, vielen sehr dankbaren Flüchtlingen und den vielen freundlichen Menschen, die wir auf unserer Reise getroffen haben. Wir möchten uns auch bedanken, dass wir die Chance bekamen, diese einzigartige Erfahrungen in den Flüchtlingslagern sammeln zu dürfen. Durch unsere Arbeit hoffen wir einen sinnvollen Beitrag für diese hilfsbedürftigen Menschen leisten zu können.

 

 

 

Anna

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