Kenia II

Die zweite heiße Nacht in Kakuma ist vorbei, wir schnappen uns noch total verschlafen kurz einen trockenen Toast, füllen unsere Trinkflaschen mit Wasser auf und eilen vollgepackt zu Whitclife, unserem Fahrer, der mit laufendem Motor mal wieder auf uns wartet.

Wie viele Personen dürfen bei uns in Deutschland in ein Auto? 5? Wir saßen dann, nachdem wir alle JRS-Mitarbeiter eingesammelt hatten, ungefähr zu zehnt in einem Jeep. Dann kurz als Schüttelshake durch die staubigen Straßen von Kakuma und schon sind wir als halbe Ölsardinen wieder im Learning Center angekommen.

Das ist jetzt aber eher Jammern auf hohem Niveau, denn hier laufen viele Studenten zu Fuß sogar zwei Stunden one way bis zum Learning Center.

Was wartet heute auf uns?

 

Papa Kongo! Wer das ist? 

Das ist hier der Sport Facilitator für JWL und er ist ein richtig guter Facilitator! Nein, Papa Kongo hat keinen weißen Bart und ist alt, er ist erst 27 Jahre jung, hat bereits 4 Kinder und eine tolle Frau! 

Woher wir das wissen?

Wir durften ihn nach Hause begleiten, um ihn zu filmen und seine Geschichte zu erzählen. Wir wurden herzlich empfangen und alle drückten uns oder schüttelten die Hand. Es war auf einmal, als wären wir ganz woanders. Als wir die Wellblechtüre hinter uns zu machten, betraten wir ein kleines privates Paradies, hier war nichts mehr von Dreck, Müll, Gestank und der Hitze zu sehen und zu spüren. Auch der Krach der vielen Menschen, die sich durch die slum-artigen Hintergassen drängeln, war auf einmal weg.
Papa Kongo – sein richtiger Name ist Joseph – hat sich hier, wie viele der hier schon länger Lebenden, eine kleine Oase mit seiner Familie geschaffen.

 

Aber wir konnten gar nicht so schnell schauen, bis wir wieder auf dem Boden der Tatsachen waren. Der sah eher sehr vertrocknet, sandig und vermüllt aus, die Menschen sitzen, kauern oder schlafen im Schatten auf dem Boden. 

Und um genau hier die jungen Menschen von der „Straße“ zu holen, entwickeln wir mit JWL die Kurse. Die Studenten sind sehr motiviert, sie wollen lernen und etwas ändern. 

Sie sind das Sprachrohr in ihrer „Community“ und wir sind für die Studenten hier, das Sprachrohr nach draußen, in die Welt. Denn die Menschen, die hier in Kakuma leben, fühlen sich oft vergessen. Um so wichtiger ist es, ihnen eine Stimme zu geben. Noch besser wäre es, sie könnten ihre eigene Stimme benutzen und dazu braucht es Bildung. Deshalb sind wir auch nach einem kurzen Mittagessen mit Reis und Bohnen wieder unterwegs, um gute Fotos und Videos für den Environment Kurs zu sammeln.

Wir verbrachten in der wirklich heißen Nachmittagssonne ein paar Stunden auf einem Acker. Hier erklärte uns ein Geflüchteter aus dem Südsudan was es bedeutet, in einer Wüstenregion Landwirtschaft zu betreiben. Die Pflanzen brauchen, wie die Menschen hier, Wasser! 

Das wird aus etwa 10 Metern Tiefe per Fußpumpe nach oben geholt. Ich muss gestehen, ich war am Anfang verwundert, was das für ein Gerät sei, denn es ähnelt sehr einem Stepper auf dem sich gerne die Damen im Fitnessstudio betätigen. Aber falsch gedacht, hier hat das Steppen eine andere Bedeutung. Über einen Schlauch wird das Wasser aus dem Erdreich nach oben in die Felder verteilt oder von dort per Kanister in Schubkarren oder auf dem Kopf bis zu den Pflanzen balanciert. 

Für die Familie, die wirklich hart dafür arbeiten muss, damit die kleinen grünen Sprösslinge in dem trockenen Sandboden wachsen, bedeutet Landwirtschaft auch Unabhängigkeit. Sie können sich von ihren selbst angebauten Pflanzen ernähren oder sie verkaufen das Geerntete und können sich mit diesem Geld sogar Fleisch leisten. An dieser Stelle muss gesagt werden: Um etwas Neues zu beginnen, braucht es auch immer ein wenig Mut. Wie hier, denn der Landwirt war in seiner Heimat Französisch-Lehrer, hier angekommen hat er eine Farm gegründet und kann jetzt sein eigenes Gemüse essen. Boun Appetit.

Während wir hier weitere interessante Informationen, Bilder und Videos über die  Landwirtschaft sammeln, haben wir natürlich auch einige kleine aufgeregte Begleiter. 

Schnell haben wir eine effektive Strategie entwickelt… Ablenkung! Einer bespaßt die Kinder, die anderen beiden können halbwegs in Ruhe arbeiten. Kinder sind dann doch auf der ganzen Welt gleich, sie wollen spielen, sind super neugierig und fasziniert von allem Fremden. Mit ihren großen dunklen Augen blicken sie gespannt auf die Displays der Kameras, wenn sie sich dann auf den Bildern entdecken ist die Freude groß… jetzt will jeder mal auf den Auslöser drücken oder an den vielen kleinen Rädchen drehen, am besten alle gleichzeitig. Wir kommen uns fast vor wir im Ameisenhaufen, an den Haaren wird gezogen, am Hemd wird gezupft, in den weißen Arm wird gezwickt, plötzlich sind wir eine kleine weiße Attraktion. 

Nun geht es für uns wieder über die staubige Straße zurück ins Arrupe Center für weitere Interviews mit den hoch motivierten Studenten.

Gegen Spätnachmittag warten wir darauf, dass wir abgeholt und in unsere Unterkunft gebracht werden, denn hier gibt es schon bald Abendessen. Was uns dreien aufgefallen ist, wir haben hier viel, viel mehr Hunger als Zuhause. Aber vielleicht ist das auch Durst? Auf jeden Fall, wird hier schon immer den ganzen Vormittag und Nachmittag für das Team gekocht. Es riecht nach Lagerfeuer und die großen Töpfe rauchen und qualmen. Nach einem schmackhaften Gericht mit Reis, Bohnen, eine Art Pfannkuchen und sogar etwas Fleisch geht´s los, auf ein kaltes Bier.

 Oh weh, hier ist heute Karaoke-Abend, den schaffen wir aber leider nicht mehr, wir sind viel zu platt und es wartet noch Arbeit auf uns, wie jeden Tag. Fotos und Videos bearbeiten, den Blog schreiben… Heute ist es allerdings anders, wir wohnen ja direkt neben der „großen Kneipe“ und sind es mittlerweile gewohnt, dass die ganzen Nacht die Boombox ordentlich laut ist, nur heute kommt noch hausgemachter Gesang dazu. Anscheinend stehen nicht nur die Japaner auf Karaoke, sondern auch die Afrikaner. Wir hatten wirklich Spaß und versuchten die schrägen Töne, die über den Zaun zu uns kamen, einem Song zu zuordnen. Aber wir versagten kläglich, selbst noch früh am Morgen war das Sing-Sang noch im vollem Gange. Irgendwann fallen einem dann nur die Augen zu und alles ist egal, laut und heiß.

Neuer Tag, neue Abenteuer. Eigentlich steht dasselbe wie gestern auf dem Programm, nur, dass wir eine Studentin aus dem Südsudan, Keth, Zuhause besuchen durften. Auch hier wurden wir wieder total herzlich willkommen geheißen. 

Sie ist das einzige Mädchen, das bis jetzt an unserem Youth Sport Facilitator Kurs teilnimmt. Und das hat einen Grund, an den niemand gedacht hat. Die Mädchen haben keine Sport-BH´s. Die männlichen Leser werden jetzt die Stirn runzeln und sich wundern. Große Augen, das war auch die Reaktion der Mitstudenten von Keth, als sie im In-Class Meeting darüber redete. Aber eigentlich logisch, welche Frau möchte schon gerne ohne ordentlichen BH Sport machen? Also von uns dreien keiner. Deshalb, haben wir sofort, am Nachmittag im Skype-Meeting bei allen Beteiligten am Sportkurs das Anliegen der fehlenden BH´s als ganz dringend eingestuft. Auch hier, hat keiner dran gedacht… Egal, dank Frauen-Power sind die BH´s quasi schon auf dem Weg. Christa Bathany von JWL und ihre Mama spenden Sport-BH´s, wir jeweils zwei und schon kann Keth ihre lang ersehnte Mädchen-Volleyball-Mannschaft gründen. Wir fühlen uns gut und Keth ist überglücklich.

Schon kurze Zeit danach fühlen wir wiedermal, welche Kraft die Sonne hat. Denn wir besuchen einheimische Landwirte außerhalb des Camps. Die Turkanen bewirtschaften hier mit ihren Familien ein paar Felder, direkt neben dem großen ausgetrockneten Flussbett. Wie immer werden wir herzlich empfangen, bei Interviews für den Landwirtschaftskurs erklären sie uns, was es bedeutet, unter diesen Voraussetzungen Landwirtschaft zu betreiben. 

Wie immer fehlt es an Wasser oder es zu beschaffen, ist ein richtiger Kraftakt. Denn das Wasser aus dem Brunnen wird ausschließlich als Trinkwasser genutzt. Nein, wir würden es sicherlich nicht trinken, es ist eine matte gelbliche „Wasserbrühe“. Das Wasser für die Pflanzen hingegen wird aufwendig aus dem Flussbett gewonnen. Es wird gebuddelt und gebuddelt, es werden immer wieder Trassen gebaut, damit nicht alles einbricht. So lange bis endlich das Grundwasser erreicht ist, das kann bis zu 10 Meter tief sein. Schon mal am Strand im Urlaub aus Spaß ein Loch gegraben? Dann wird einem schnell klar, was es bedeutet ein 10 Meter tiefes Loch graben zu MÜSSEN.

Auch heute durften wir unseren Horizont erweitern, uns wurden ein paar Geheimnisse aus der turkanischen Hausapotheke verraten. Hier wird bitteres Grünzeug mit noch mehr bitterem Grünzeug und Aloe vera zerstampft, gemixt und dann getrunken. Soll bei Malaria helfen. 

Mhhhh hört sich lecker an 

Aber wie hat Oma schon gesagt „wenn es greißlig schmeckt, dann hilft es auch!“

Und schon ist der Tag wieder fast vorbei. Essen, Zwischen-Feierabend-Bierchen und ran ans Material. 

Oh, wir haben ganz vergessen von unseren neuen Freunden zu erzählen, das muss noch kurz sein, bevor wir uns ins Bett begeben. 

Das Einzige, was uns dazu einfällt, ist: Raphaela & Lisa: „Ohhhhhh wie süß, können wir die mitnehmen?“ Anna verdreht die Augen: „sollen wir vielleicht gleich noch einen Kurs über Haustiere machen?“. Ich hoffe hier ist die Ironie zu hören J Und natürlich haben wir die kleinen Racker, sechs an der Zahl und die Mama, den Papa, den Onkel…. Dann doch heimlich mit bisschen Fleisch und Pfannkuchen gefüttert. Ja wir wissen, wie sich das jetzt anhören muss, die Menschen haben hier kaum zu trinken und essen. Aber wenn dich so große Kulleraugen der Kätzchen anhimmeln, dann….

 

Die kleinen haben sich auf alle Fälle an diesem Abend mit vollem Bauch zusammen gekuschelt und auch wir sind wieder ins Bett gefallen. Es wird unsere letzte Nacht im Lager sein, denn schon morgen heißt es: „Auf Wiedersehen Kakuma!“

Nach den herzlichen Verabschiedungen von den Studenten, Lehrern und allen Managern 😉 geht es für uns am Samstagmittag langsam auf die Reise nach Nairobi. 

Aber erst mal müssen wir zur Kakuma Bank, hier treffen alle Bewohner aufeinander, egal, ob im Jackett mit polierten Schuhen, oder traditionell gekleidet mit Ledersandalen, in Tücher gewickelt und kunstvollem bunten Perlen Halsschmuck. Ein wenig skurril ist dieser Anblick ja schon, wie die verschiedenen Kulturen hier in der klimatisierten, Marmor gefliesten Bank aufeinander treffen. Auch das Bankgeschäft läuft hier ein bisschen anders, wir reichen unsere Dollar durch das Glasfenster, unser Gegenüber beginnt zu zählen, ein Schein für die Hemdtasche – der Rest für die Bank. Dann bekommen wir ein riesen Bündel vergilbter und auseinander fallende kenianische Schilling zurück.

Unter den drohenden schwarzen Regenwolken beeilen wir uns, um schnell zu unserer Unterkunft zu kommen. Dort wartet Raphaela schon ein wenig nervös auf uns. Seit Tagen erwarten sie hier im Lager Regen. Wir dachten ja immer hier in der trockenen heißen Wüste ist Regen doch super – aber nein! Falsch gedacht, bei unseren vielen Interviews mit den Einheimischen und Landwirten ist uns eines klar geworden, der Regen macht das Leben hier noch viel schwerer.

Warum das so ist? 

Teile des Lagers werden von einem reißenden Fluss davon geschwemmt. Menschen verlieren ihr Dach über dem Kopf, Felder und Anbauflächen werden zerstört, damit auch die Lebensgrundlage der vielen Familien die sich hier mühsam eingerichtet haben. 

Viele kleine giftige Erdbewohner, wie Schlagen, Käfer, Spinnen und andere Insekten wagen sich dann auch mal ans Tageslicht und das in Massen. Außerdem wird das Befahren der Straßen unmöglich, Transporte per Flugzeug und LKW können Kakuma nicht mehr erreichen. 

Jetzt wisst ihr auch, warum Raphaela schon nervös ist. Bei den Berichten über Heuschreckenplagen, sowie unzähligen Malaria-Mücken, Ernteausfällen und noch stärker verunreinigtem Wasser, ist uns jetzt klar, was Regen hier wirklich bedeutet.

Mit gepackten Rucksäcken sitzen wir nun vor unserem Hauptquartier und lassen die Eindrücke der letzten Tage auf uns wirken. Nur der von dunklen Wolken bedeckte Himmel macht uns noch ein wenig Sorgen.

Wie die Reise weitergeht, und ob wir tatsächlich abgehoben sind, gibt es im nächsten Blog-Beitrag zu lesen.  

 

Raphaela

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