Äthiopien III

Am Montagmorgen wurden wir pünktlich von unserem Fahrer zum Flughafen gebracht. Dort angekommen, wurden wir von dem verschlafenen Personal der Sicherheitskontrolle zwischen Terminal eins und zwei hin und her geschickt, da offensichtlich niemand zugeben wollte, dass sie nicht wussten wo der Check-in für die UN Flüge ist. Nachdem wir den Sicherheitscheck mit unserer ganzen Ausrüstung dreimal durchlaufen hatten, waren wir dann auch wach und fanden endlich den richtigen Schalter. Der zweieinhalb Stündige Flug nach Dolo Ado konnte zum Glück wie geplant stattfinden. Mit 5 weiteren Fluggästen nahmen wir in der kleinen UN-Propellermaschine vom Typ Cesna Caravan Platz. Über abwechslungsreiche Landschaften flogen wir in Richtung Süden. Je näher wir unserem Ziel kamen, desto flacher und öder und wüstenähnlicher wurde die Landschaft, bis wir schließlich gegen neun Uhr auf einer staubigen unebenen Schotterpiste in der Region Dollo Ado, 3 Km von der Somalischen Grenze entfernt, landeten. Dort wurden wir von Abraham und Daniel von Jesuit Refugeee Service (JRS) abgeholt. Bei einem Landestypischen Frühstück Tik (Ziegenfleisch mit Chili Pulver und Injera), begannen die beiden uns die Flüchtlingssituation vor Ort zu erklären.

Insgesamt bietet Äthiopien ca. 800.000 Flüchtlingen aus 20 verschiedenen Ländern Schutz, die meisten stammen aus dem Süd-Sudan, Somalia, Eritrea und Sudan. Hier in der Region Dolo Ado gibt es vier Camps (Bokolmanyo, Melkadida, Kobe, Hilaweyn, Buramino) um die Menschen die aus Somalia flüchten, zu versorgen. Aus dem benachbarten Bürgerkriegsland überqueren täglich neue Flüchtlinge die Grenze zu Äthiopien. Mit Bussen holt die UNHCR (The UN Refugee Agency) unterstützt durch den Äthiopischen Staat vertreten durch die ARRA (Administration for Refugee and Returnee Affairs), die Flüchtlinge an der Grenze ab und bringen sie zur Registrierung und Versorgung in die Camps. Derzeit leben in dieser Region ca. 215.000 Menschen in den Flüchtlingslagern. In jedem dieser Camps arbeiten viele Hilfsorganisationen aus den verschiedensten Ländern der Welt zusammen um den geflüchteten Menschen zu helfen. Jede Organisation übernimmt eine bestimmte Aufgabe. So baut zum Beispiel eine schwedische Hilfsorganisation Bambushütten, eine amerikanische Organisation betreibt Wasseraufbereitungsanlagen, um das Wasser aus dem Fluss der Region zu reinigen und über ein System mit Wasserhochbehältern für die Brunnen im Lager zur Verfügung zu stellen, andere stellen die medizinische Versorgung, wieder andere kümmern sich um Gruppen mit besonderen Bedürfnissen. Unsere Gastgeber JRS kümmern sich um das Zusammenleben der Flüchtlinge. Insbesondere haben sie zahlreiche Programme für Jugendliche entwickelt, die wir bei unserem Aufenthalt hier näher kennen lernen sollten.

Insgesamt arbeiten in den Lagern gut 40 Organisationen Hand in Hand, um den geflüchteten lebenswerte Bedingungen zu bieten. Koordiniert und überwacht wird alles durch die Dachorganisation des äthiopischen Staates: ARRA. Diese verfolgt eine sogenannte offene Lagerpolitik mit Gastgebergemeinden. Jedes Flüchtlingslager hat eine kleine Gastgeber Gemeinde, diese stellen ihren Grund zur Verfügung. Im Melkadida Flüchtlingslager werden geflüchtete Somalier von einer kleinen Kommune mit weniger als 1000 Einwohnern aufgenommen. Die Flüchtlingslager hier sind offen, d.h. sie haben keine Zäune. Der Grundgedanke dieser äthiopischen Flüchtlingslager Politik ist, dass Flüchtlinge und Gastgeber voneinander profitieren. Außer der Sperrstunde von 18 Uhr bis 5 Uhr können sich alle frei bewegen. Die äthiopischen Dorfbewohner, können die Infrastruktur der Lager mitbenutzen. Außerdem finden sie Arbeit bei den zahlreichen Hilfsorganisationen. Die einzelnen Flüchtlingslager sind in sich wie kleine „Staaten“ organisiert. Angefangen bei Wohnblocksprechern, bis hin zu dem demokratisch gewählten Lager Präsidenten, sind die Zuständigkeiten der Flüchtlinge in Lagern in zahlreiche Gremien und Ausschüsse unterteilt.

Wir machten uns also von Dolo Ado aus auf den Weg zu den beiden ca. 70 km entfernten Flüchtlingslagern Kobe und Melkadida. Auf dem Weg dorthin stoppten wir noch bei einer Tankstelle um einige Kanister Benzin für die Generatoren der JRS Basis zu besorgen. Mit neugieren Blicken musterten uns die Menschen an den Straßenrändern, denn in diese Region von Äthiopien kommen nur sehr selten Besucher. Unser Reiseführer führt die Äthiopische Somali Region, in der Dolo Ado liegt, nicht einmal auf, denn Touristen sind hier weder erlaubt noch erwünscht. Über eine holprige staubige Schotterpiste fuhren wir mit dem Jeep durch die karge Wüste. Mittlerweile hatten die Temperaturen ca. 40 Grad erreicht. Nach ein eineinhalb Stunden Fahrt hatten wir trotz einer vorsichtigen Fahrweise einen Platten. Die Bewohner des kleinen Dorfes packten gleich mit an und nach wenigen Minuten hatten sie den kleinen Jeep bereits mit Steinen aufgebockt und wechselten unseren Reifen. An ihrem geschickten Vorgehen war gleich zu erkennen, dass Reifenpannen auf dieser Strecke wohl alltäglich sind. Anna wurde allerdings von einem Polizisten in das Auto zurückgeschickt um sie zu „schützen“, was immer das auch bedeutete. Peter wurde angewiesen auf keinen Fall zu fotografieren. Pünktlich zum Mittagessen erreichten wir dann unser Ziel und wurden freundlich von den anderen Mitarbeitern von JRS begrüßt. Bei unserer gemeinsamen Besprechung zur weiteren Planung und Einführung in die Arbeit von JRS hier vor Ort, waren wir sehr überrascht, wie produktiv und aufopferungsvoll das Team von Abraham hier arbeitet. In einer Vorstellrunde erklärte uns jeder der 8 Mitarbeiter seinen Zuständigkeitsgebiet und bot uns Aktivitäten an, die wir in den Camps begutachten sollten.

An dieser Stelle möchten wir Euch zum besseren Verständnis der Situation hier in den Lagern gerne noch einen genaueren Einblick in die Arbeit von JRS in den Flüchtlingslagern Kobe und Melkadida geben:

Abraham ist der Projektleiter hier vor Ort. Er koordiniert die Arbeit des JRS Teams in beiden Camps. Insbesondere hat die Fußballteams neu strukturiert. Als er in vor einigen Jahren begann hier zu arbeiten, hatten sich die Jugendlichen bereits in verschiedenen Fußballteams zusammengeschlossen. Allerdings gab es während der Spiele immer wieder Auseinandersetzungen. Als er begann zu hinterfragen wie sich die Teams die im Camp gegeneinander spielten formiert haben, stellte er fest, dass sich die Somalier nach ihren Volksstämmen aufgeteilt hatten. So wurden immer wieder Konflikte der Stämme auf den Fußballfeldern ausgetragen. Durch die Fußballspiele wurden die Fronten zwischen den Stämmen sogar noch verhärtet. Um das Zusammenleben der Flüchtlinge zu verbessern begann Abraham mit in Zusammenarbeit mit dem Trainerteam von Salomon und den von JRS ausgebildeten Jugendleitern die Mannschaften neu auf zu bauen. In Zusammenarbeit mit den Stammesältesten, die ebenfalls an einem friedvollen Zusammenleben im Flüchtlingslager interessiert waren, begannen sie Schritt für Schritt komplett neue Teams zu bilden. Heute stellt jeder Wohnblock im Camp eine Mannschaft. In Malkadida gibt es 20 Fußballteams die regelmäßig gegen einander spielen. Auch die jeweilige äthiopische Gastgeber Gemeinde stellt ein oder zwei Fußballteams. Sie trainieren gemeinsam unter Anleitung der von JRS ausgebildeten Trainer und Jugendleiter. So fördert Fußball die Gemeinschaft im Camp und spielt eine Schlüsselrolle für das friedvolle Zusammenleben zwischen den verschiedenen Somalischen Stämmen und den Äthiopischen Gastgerbern. Über die Jahre hat sich durch Fußball ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen allen Flüchtlingen und ihren Äthiopischen Gastgebern entwickelt. Die täglichen Fußballspiele, sind nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für deren Familien enorm wichtig. Jeden Abend unterstützen hunderte von ihnen ihre Teams auf den staubigen Spielfeldern. Bei Interviews mit den Spielern, Trainern und Jugendleitern erfuhren wir immer wieder wie unglaublich wichtig Fußball für Flüchtlinge ist. Sie trainieren und spielen um ihre Erlebnisse und Traumata zu verarbeiten. Während sie spielen können sie sich zumindest für einen kurzen Augenblick frei fühlen, Aggressionen spielerisch ablassen und soziale Strukturen werden auch noch gefördert. Durch die intensive Arbeit der Trainer von JRS, haben Jugendliche die niemandem mehr Vertrauen, Menschen gefunden, die täglich für sie da sind.

Neben den Jugend-Sport-Programen bieten die beiden Psychologinnen von JRS Alem und Aynama psycho soziale Unterstützung für die Geflüchteten an. In einem speziellen Trainingsprogram bilden sie Flüchtlinge zu Beratern aus. Wenn sie die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, unterstützen diese Berater andere Flüchtlinge in Form von täglichen Hausbesuchen und ausgiebigen Gesprächen. Diese Unterstützung von Flüchtling zu Flüchtling ist besonders wirkungsvoll, denn irgendwo teilen all diese Menschen die aus Somalia flüchten mussten das gleiche für Schicksal. Viele berichteten das ihnen die Arbeit als Berater auch hilft ihre eigenen Erlebnisse zu verarbeiten. Gemeinsam können sie weinen, ihre unfassbar schweren Schicksalsschläge teilen, sich gegenseitig Kraft geben und sich ermutigen hier in den Flüchtlingslagern ein neues Leben zu beginnen. Neben dieser Beratung kämpfen Alem und Aynama gegen die, in den Traditionen der Somalier festverwurzelte, Beschneidung der Mädchen und deren früher Verheiratung mit ca. 15 Jahren. Die allermeisten Somalier sind gläubige Muslime. Um ihrer Kultur wertschätzende gegenüber zu treten und das für ihre Arbeit unabdingbare Vertrauern zu gewinnen, kleiden sich auch die christlichen Äthiopierinnen Alem und Aynama gemäß der somalischen Tradition. Durch den Respektvollen Umgang mit der Kultur der Somalier, konnten Sie in zahlreichen Gesprächen mit Müttern, Stammesältesten und Religionsvertretern schon kleine Verbesserungen erreichen.

Des Weiteren stellt JRS in den beiden Flüchtlingslagern Kobe und Melkadida Lernzentren für Erwachsene bereit. Viele der Flüchtlinge können weder schreiben noch lesen, denn seit zwanzig Jahren gibt es in Somalia keine funktionierende Schulbildung mehr. Mehr als eine Generation der Somalier sind damit Analphabeten. Selfago der Leiter dieser JRS Bildungszentren, setzt sich dafür ein dies in den Camps zu ändern. Im drei-Schicht betrieb unterrichtet er mit seinem Lehrerteam, Englisch, Mathematik und Somali. Um auch Frauen einen Zugang zu Bildung zu ermöglichen, verfügt das Lernzentrum über einen eigenen Kindergarten, in dem Tagesmütter die Betreuung der Kinder übernehmen.

Außerdem bietet JRS sechsmonatige Berufsausbildungen für junge Flüchtlinge an. In Abstimmung mit den jeweiligen Schulschichten kommen die Jugendlichen vor oder nach der Schule in die Schulungszentren. Dort können sie die Grundzüge der Berufe Friseur, Schneider oder Installateur erlernen. Nachdem sie diese Ausbildung erfolgreich absolviert haben, dürfen sie auch außerhalb der Lager Aufträge erledigen und damit ein wenig Geld verdienen.

In all diesen Programmen arbeiten neben den jeweiligen JRS Leitern auch Flüchtlinge und auch Einwohner der Gastgeber Kommunen. 

Die JRS Basis liegt am Rand des Lagers. In diversen Büros für unüberschaubare Zuständigkeiten warteten wir jeweils lange auf bestimmte Berechtigungsscheine, um in die Lager zu kommen. Unzulänglichkeiten und eine gähnende Langsamkeit der Abwicklung nahmen uns viel von unserer wenigen Zeit, die wir ja nur noch übrig hatten. Im Büro 1 mussten wir z.B. erst dem Chef vorgestellt werden, dann warteten wir aufs Neue, um zu erfahren, dass die einzige Person, die uns eine unerlässliche Bescheinigung aushändigen konnte, gerade beim Zahnarzt ist. Es folgten noch mehrere „Behördengänge“ bis in den späten Nachmittag.

Dann dürften wir endlich in Melkadida Flüchtlingslager, unzählige Kinder, Frauen und Männer erwarteten uns dort. Sie tanzten und sangen um uns willkommen zu heißen.

Anschließend fuhren wir zum Fußballfeld um bei dem heutigen Spiel zuzuschauen und unseren Interviewpartner zum Thema Sport für den morgigen Tag zu organisieren. Das Fußballfeld war umringt von interessierten Zuschauern. Auch wenn es in den Abendstunden immer noch ca. 35 Grad hatte, spielten die Jugendlichen mit voller Hingebung auf dem roten Wüstenboden. Eine Gruppe Jugendlicher moderierte das Spiel mit großen Lautsprechern vom Dach eines UN Jeeps. Es war beeindrucken wie Fußball all diese Menschen, jung und alt, Frauen und Männer, zu einer großen Gemeinschaft verband. Der Präsident des Lagers bat uns darum möglichst vielen Menschen mitzuteilen wie sehr JRS den Jugendlichen in den Lagern hilft. Seit sie durch die verschiedenen Programme betreut werden, sehen sie ihre Zukunft wieder hoffungsvoller. Er ist dankbar dafür, dass die Jugendlichen nun nicht mehr so hoffnungslos sind und aus den Lagern fliehen, um den lebensgefährlichen Weg in eine andere Welt auf sich zu nehmen.

Erschöpft und überwältigt von den Ereignissen des Tages kamen wir bei Einbruch der Dunkelheit zurück, in das JRS Haus am Eingang des Melkadida Camps. Hier in diesem Haus, indem wir zusammen mit den JRS Programmleitern wohnten, wir viel gelacht und gemeinsam über die Erfahrungen aus den Lagern gesprochen. Angespornt von der großartigen Arbeit der JRS Mitarbeiter für die Flüchtlinge, wollten wir unsere viel zu knappe Zeit hier sinnvoll nutzen und begannen in den Abendstunden noch mit den Interviews mit Abraham und Alem. Auch in den späten Abendstunden wurde es hier nicht kühler als 30 Grad, wie die anderen auch verbrachten wir die Nacht also draußen.

Am folgenden Tag besuchten wir viele Flüchtlingsgruppen, die mit ihren Aufgaben beschäftigt waren und mit großer Freude an den verschiedenen Programmen von JRS teilnahmen. Besonders begeistert waren wir von der Volleyball-Damen-Mannschaft. Sie erzählten uns das sie sich aufgrund ihrer Religion eigentlich unwohl fühlen, wenn sie in der Öffentlichkeit Volleyball spielen. Gleichzeitig berichten sie wie sehr ihnen dieses Gemeinschaftserlebnis hilft. Aber auch einer der Fußballtrainer, ein körperlich Behinderter Mann, den wir interviewen durften, beeindruckte uns zutiefst mit seiner Geschichte. Der gut ausgebildete weise Mann, kann keine Arbeit im Lager finden, und bei den ständigen Kürzungen der Lebensmittelrationen wird er nicht mehr lange in der Lage sein nur mit seinen Belohnungen für die Trainertätigkeit, die Familie zu ernähren. Wir realisieren immer mehr, dass keiner den Menschen hier Antworten auf ihre Fragen geben kann. Auch wenn sie hier schon seit vielen Jahren friedvoll Leben und dankbar für die Hilfe sind die sie erhalten, wissen sie nicht wie ihre Zukunft aussieht.

Bei unzähligen Interviews erfuhren wir viel über ihre leidvolle Geschichte und fühlten uns zu tiefst betroffen. Wir realisierten welch großartige Arbeit JRS für diese Menschen leistet. Doch sie werden diese Arbeit in den Lagern nicht in diesem Ausmaß aufrechterhalten können, da die Gelder die für diese Projekte zur Verfügung stehen laufend gekürzt werden. Viele baten uns darum ihre Geschichten zu erzählen und so die Aufmerksamkeit der westlichen Welt wieder auf die Probleme in dieser Region zu richten. Vor wenigen Tagen erst fand nur 40 km von hier entfernt ein verheerender Bombenanschlag mit mehr als 300 Toten in Somalia statt. Habt ihr davon gehört? Unsere Medien tragen mit Schuld daran, dass die Krisen der somalischen Flüchtlinge nicht mehr an die Öffentlichkeit gelangen. So steht den Hilfsorganisationen hier vor Ort immer weniger Geld für diese wichtige Arbeit zur Verfügung.

Anna

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